Über den Anstand in schwierigen Zeiten – Gedanken zu Axel Hacke’s Essay

 

 

Vor mir liegt ein #lesenswertes Essay über Anstand von Axel Hacke aus „DIE ZEIT“. Anstand ist für mich ein Thema, dass mit dem „Trumpismus“ oder dem „Trumpen“ gerade jetzt hoch aktuell ist. Der Journalist und Schriftsteller nutzt vielfältige Quellen – einige Gedankengänge möchte ich annotieren:

„Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren und Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind. Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zu Grunde liegen“
(Freiherr von Knigge, 2009, in: Knigge: Über den Umgang mit Menschen)

Vielleicht ist auch deshalb so wichtig mit dem „guten Benehmen“, weil meine Schwiegermutter vor einiger Zeit im Knigge-Rat mitwirkte, dennoch: Ich merke in Erziehung der Kinder und auch in meiner eigenen Veränderung von Verhalten, dass dieser „Umgang mit Menschen“ sicherlich _nicht_ nur eine bloße Etikette sein kann, eine eingeübte Praxis. Vielmehr muss eine Grundüberzeugung von „Innen heraus“ da sein, dass das WIR in vielen Dingen über dem ICH stehen sollte.

„Wie wäre es mit dem in Vergessenheit geratenen Gedanken, dass einer Gesellschaft nur angehören kann, wer ein Opfer für sie zu bringen bereit ist?
Es ist mir komplett umgebegreiflich, wie es möglich war, dass die Wehrpflicht sang- und klanglos ausgesetzt wurde, ohne dass machtvoll deren Ersetzung durch einen zivilen Dienst für jede und jeden verlangt worden wäre, auf dass nicht das Gefühl verloren gehe, dass wir in diesem Land und in dieser Welt gemeinsam existieren.“
(Axel Hacke, in: DIE ZEIT vom 24.08.17)

Ich bin mir sicher, dass Axel Hacke mit „Opfer“ mehr meint als Steuern zahlen und Gesetze zu achten, denn das ist sicherlich zu wenig Kitt, um unsere Gesellschaft zusammen zu halten. Die Monetarisierung von kleinsten Dienstleistungen, der Versuch, jeden kleinen Aktion, jeder Geste, einen messbaren Wert zuzumessen, bringt uns dazu, immer genau zu wissen, was wir dem/r anderen „schuldig“ sind. Wir nutzen das Wort „Opfer“ nur noch wenig und dann vor allem im beruflichen Kontext, wenn es darum geht, die viele Stunden im Büro zu argumentieren und das Opfer gegenüber der Familie mit den möglichen Karriere-Chancen zu begründen. Opfer gegenüber unserer Gesellschaft bringen ich nur noch selten.

Alle sozialen Tiere verbringen einen großen Teil ihrer Zeit damit, sich gegenseitig zu beobachten, und deshalb sei „Aufmerksamkeit anderer Menschen die unwiderstehlichste aller Drogen“.
(Georg Frank (1998): Ökonomie der Aufmerksamkeit)

Diese Droge zeigt sich alltäglich in alle sozialen Netzwerken – ich spüre sie am eigenen Leib: Kurz vor Weihnachten ging ein Tweet von mir durch die Decke ( Social Bots erkennen ) und ich spürte, wie dieser Aufmerksamkeit von anderen Menschen (durch Retweets oder Likes) quasi süchtig machen kann. Ich fieberte dem 100sten Retweet entgegen wie ein kleines Kind, das sich vor Weihnachten auf die Geschenke freut – anstatt auf das Kommen des Herrn… 😉

„Anstand ist eine Sache jedes Einzelnen und damit eine Sache von uns allen. Menschen können nur im Zusammenleben mit anderen existieren. Wir ziehen uns in die Sicherheit der eigenen sozialen Schicht zurück. Verlieren uns in der Arbeit an der eigenen Performance. Wir basteln immerzu am Ego und viel zu selten am Wir.“
(Axel Hacke, in: DIE ZEIT vom 24.08.17 )

Ich frage mich, was wohl die „Sicherheit der eigenen sozialen Schicht“ sein soll? Natürlich das eigene „Ich“ und das, was mir einen Vorteil gegenüber dem anderen verschafft. Ich denke aber auch an „Familien“, die sich abschotten, nur für sich stehen und nicht den Weitblick besitzen, über die Familiengrenzen hinaus zu denken. Obiges „Wir“ kann viele Formen annehmen: Mein Gesprächspartner und ich, mein Team & ich, meine Community/ies & ich und die Gesellschaft & ich: Meine Vermutung: Je größer und undefinierter die jeweilige Gruppe, desto schwieriger tun wir uns mit dem „Anstand“. Aber ich muss in allen Formen am „Wir“ basteln, wie es Axel Hacke so schön nennt. Also einfach TUN.

 


Extro – Die Quellen auf einen Blick:

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